September 2017 – Von fantasievollen und ästhetischen Pirouetten

Das Seifen-Ballett des Konsum Seifenwerkes Riesa®

Seifen-Präsent-Set „Ballett“®; Konsum Seifenwerk Riesa®, Riesa/ Deutsche Demokratische Republik, um 1960

Sammlung Monika Jürgens-Winefeld/ Schenkung 2016

„Das Schwere am Tanzen ist, das Schöne des Tanzens so zu zeigen, dass das Schöne des Tanzens nicht schwer aussieht.“ Dieses anonyme Zitat lässt mit Fantasie so manche Primaballerina (ital., führende Tänzerin eines klassischen Ballettensembles) vor dem geistigen Auge erstehen, die mühelos und voller Grazie in Pirouetten über den Boden zu schweben scheint, als besäße das Naturgesetz der Schwerkraft für sie keine Gültigkeit. Doch die Bilder vollendet geformter Frauenbeine und abstehendem Tutu (Rock aus mehreren Schichten von Tüll, teils mit Draht versteift) trügen. Das ursprüngliche Ballett, welches sich im 16. und 17. Jahrhundert in Europa zu etablieren suchte, war alles andere als eine Frauendomäne. Ähnlich dem Schauspiel oder dem noch jungen Genre der Oper gaben die Männer den Ton an, allen voran Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. (*1638-†1715). Als kunstsinniger Monarch und wohl bester Tänzer seiner Zeit, schuf er sozusagen in erster Amtshandlung nach seiner Machtergreifung im Jahre 1661 die Académie Royale de Danse (franz. Königliche Akademie des Tanzes) in Paris. Tanzen schmeichelte schließlich nicht nur dem Auge, sondern auch der Figur und diente der sportlichen Körperertüchtigung. Noch im 19. Jahrhundert tanzte „Mann“ Ballett sogar im militärischen Felde, um etwa den Rücken durch das stete Reiten zu stärken oder den Gleichgewichtssinn zu trainieren.

Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Edgar Degas (*1834-†1917) mit leichtem Pinselstrich so manche Attitude auf Papier und Leinwand bannte, hatte sich das aufblühende Klassische Ballett längst neuformiert. In den unzähligen Theatern der Seine-Metropole fand das französische Maler-, Grafik- und Bildhauertalent schließlich eine seiner prominentesten Inspirationsquellen: Balletttänzerinnen. Weit über 200 seiner Werke widmeten sich dem Thema des Balletts, wobei nicht die große Pose des Auftrittes im Vordergrund stand. Vielmehr beschränkte sich Degas auf Momentaufnahmen hinter den Kulissen, welche die Tänzerinnen während der Probe, des Ausruhens oder in der Vorbereitung auf den Publikumskontakt zeigten. Im Gegensatz zu den impressionistischen Malerkollegen lehnte Degas die Freilichtmalerei ab. Stattdessen maß er dem Zeichnen oder Malen aus dem Gedächtnis größere Bedeutung bei. Die auf diese Weise freigesetzte Fantasie verband er in seinem Atelier lediglich mit Modellen oder vor Ort erstellten Skizzen zu einem Ganzen.

Auch in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde Fantasie großgeschrieben. Anlass boten zum Beispiel wirtschaftliche Gründe, waren doch geeignete Rohstoffe oftmals knapp, die zum Teil teuer importiert werden mussten. Dementsprechend war die Staatsführung auch neben der Devisenbeschaffung daran interessiert, entsprechende Geldsummen aus der Bevölkerung abzuschöpfen. Das Konsum Seifenwerk Riesa® deckte nicht nur rund 80% des inländischen Seifenbedarfs, sondern wartete mit kreativen Produkten auf, die von Seifen für kleine Kinderhände bis hin zu Luxusartikeln für Präsent-Sets reichte. In den 1980er Jahren – der Blütezeit des Werkes – produzierten etwa 500 Werktätige jährlich an die 20.000 Tonnen Seife.

Dass im Werk nicht nur produktionsbedingt „Ballett gemacht“ wurde, demonstriert dieses markante Präsent-Set. Ob Umverpackung oder die drei innenliegenden Seifenstücke: sie alle eint der schwanenhafte Tanz der Ballerinen vor rotfarbenem Hintergrund. Auch die „Riesaer Seifenkatze“ durfte auf der Verpackung nicht fehlen. Bereits seit den 1950ern stand das schwarz-weiße Reinlichkeitstier mit schlafendem und wachendem Auge für die Produkte aus Riesa, als wollte es zu jeder Tages- und Nachtzeit über die Schönheit wachen. In der Tat stellte die „Ballett“®-Seife ein ausgewiesenes Schönheitsprodukt dar. Angereichert mit Lanolin und Hamamelis besaß ein Seifenstück im Einzelhandel bereits einen Wert von 1,20 Mark (ein Brötchen kostete im Vergleich 0,05 Mark). Inwiefern die Häufigkeit und generelle Anwendung des sächsischen Fabrikats zur Schönheit des werktätigen Teints beitrug, lässt sich heute nur schwerlich ermessen. Edgar Degas hätte zumindest die Nutzung honoriert, denn „eine Frau ist mit zwölf eine Skizze, mit fünfzehn eine Zeichnung, mit achtzehn malt sie selbst, und mit zwanzig stellt sie sich aus. Aber wie alt sie auch sein mag, ein Stillleben wird sie nie“.

Präsentation: Glas-Café, Kleintettau; 01.09. bis 03.10.2017

Künftiger Standort: Sammlungsdepot

Wissenswertes: In seinem Spätwerk wendete sich Edgar Degas vor allem der Fotografie und Skulptur zu, da sein nachlassendes Augenlicht ihn zu Erblinden drohte. Gepflegt von seiner Nichte, verstarb er am 27. September 1917 an einer Hirnblutung. Der Todestag des Künstlers jährt sich damit im Jahr 2017 zum 100. Male.

Bereits im Jahre 1909 wurde die Seifenfabrik Riesa-Gröba® als Tochter der Großeinkaufs – Gesellschaft Deutscher Consumvereine® (GEG) gegründet. In der Deutschen Demokratischen Republik wurde das Seifenwerk unter dem Verband der Konsumgenossenschaften® erfolgreich fortgeführt. Im Jahre 1992 übernahm die Firma M. Kappus GmbH & Co. KG® das Seifenwerk, welches zu diesem Zeitpunkt bereits als GmbH firmierte. Mit dieser deutsch-deutschen Vereinigung zählt das traditionsbewusste Unternehmen laut eigenen Angaben heute zum größten Seifenhersteller in Mittel- und Westeuropa.

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