Objektbeiträge

Januar 2016 – Von westlichem „Dreck“ und östlichen Nasen

Dr. Günter Feustel und das DDR-Konsumgut Parfum

Präsentset Schwarzer Samt® mit Parfum-Flakon, Seife Umverpackung, EdC; VEB Rosodont Werk Miltitz (Sachs.)®, Miltitz Deutschland, zwischen 1964-1972

Präsent-Set “Schwarzer Samt”® mit Parfüm-Flakon und Seife, EdC; VEB Rosodont-Werk Waldheim (Sachs.)®, Waldheim/ Deutschland, vermutlich zwischen 1964 bis 1972

Dauerleihgabe 2013

“Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? …“, gab 1965 Walter Ulbricht (*1893-†1973) anlässlich der 11. Plenumssitzung des Zentralkomitees der SED zu Protokoll. Zwar zielte diese offensive Aussage des Staatsratsvorsitzenden der Deutschen Demokratischen Republik ab auf die unaufhaltsame Verbreitung der westlichen Rockmusik, doch mag im Unterton so manch Anderes mitgeschwungen haben. De facto verlagerte sich die Auseinandersetzung mit den vorgegebenen Werten des Politsystems, bedingt durch den anhaltenden Gütermangel der Nachkriegsjahre, auf das Schlachtfeld des Konsums.

Dies bekam auch Dr. Günter Feustel (*1932-†2014) zu spüren. Als Hoffnungsträger der Parfumentwicklung arbeitete er seit 1950 im damaligen VEB Schimmel Miltitz®. Dem Wissensschatz einer der bedeutendsten Bibliotheken zu natürlichen Duftstoffen und Geschmacksessenzen standen rund 600 bis 700 Duftnoten gegenüber. Gegenüber dem westlichen Klassenfeind verfügten Dr. Feustel und seine Mitarbeiter damit lediglich über die Hälfte an wünschenswerten Riechstoffen.

Ab den 1970er Jahren entstanden unter der Egide des Chefparfümeurs im nunmehrigen VEB Chemische Fabrik Miltitz® fast ausnahmslos die Parfumkreationen der DDR. Auf seine Zeitgenossen wirkte Dr. Feustel wie seinerzeit die französischen Parfum-Pioniere, aber keinesfalls so engstirnig wie die Fantasiegestalt des Signore Baldini in Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“ – wenngleich die „goldene Nase der DDR“ gezwungen war, westliche Parfums auf Geheiß der Staatsführung zu analysieren und mit geringen Mitteln zu kopieren. „Die Anregung kam meistens aus dem Westen“, so Dr. Feustel, „Und wie auch in der Modebranche waren wir immer ein bisschen hinterher, weil wir ja erst einmal abwarten mussten, was war im Westen modern, was war im Westen üblich.“.

Auch wenn der Konsum angeregt und das umlaufende Geld vom Bürger abgeschöpft werden sollte, so waren ausgewiesene Luxus-Plagiate dieser Art kaum für jedermann aus der sozialistischen Arbeiterschaft erschwinglich. Sofern wirtschaftliche Engpässe es zuließen, griffen deshalb Mann oder Frau auch gerne auf bodenständige Eigenkreationen, wie das im Jahre 1958 lancierte Parfum „Schwarzer Samt“® des VEB Rosodont-Werkes Waldheim (Sachs.)® der Marke Florena® zurück. Der Wiedererkennungswert des Parfums lag sowohl im Flakondesign mit seiner markanten, konischen Form, produziert im VEB Glaswerke-Piesau®, als auch im anfänglich verknotetem Schleifenband am „S“ des Schriftzuges – so im vorliegendem Beispiel zu sehen. Später zierte ein stilisierter Schmetterling das Etikett und die Verpackung – vielleicht eine Reminiszenz an das Markenzeichen des von Florena® übernommenen Parfumherstellers VEB Decenta Döbeln®? Äußerte sich die Popularität dieses Damenduftes einst in der Namensadaption für den DEFA®-Kriminalfilm „Schwarzer Samt“® aus dem Jahre 1964, so überraschte nach 2009 die Neulancierung durch die in Sachsen ansässige Firma Casino Parfuem Saxonia Fritzsche & Enders GbR®. Mag dieses Stück Geschichte nun zwischenzeitlich wieder vergriffen sein, was bleibt, ist die Erinnerung an eine Ära, ein Parfum, und einen Mann, der offensichtlich den richtigen „Riecher“ hatte. …

Präsentation: Glas-Café, Kleintettau; 11.01. bis 31.01.2016

Künftiger Standort: Sammlungsdepot

Ausblick: Integration in die Dauerausstellung – Parfümerie- und Kosmetikkultur der DDR (Sammlung Monika Jürgens-Winefeld, http://www.ddr-duftmuseum-1949-1989.de/), voraussichtliche Eröffnung in der zweiten Jahreshälfte 2018

Nachruf: Dr. Günter Feustel verstarb im Dezember 2014 im Alter von 82 Jahren. Wir sollten nicht traurig sein, dass wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein, dass wir ihn über so eine lange Zeit erleben durften.

 

Dezember 2015 – Vom Sein oder Nichtsein

„Actrice“, der Duft, der Veronica Ferres inspiriert


Handsignierter Parfüm-Flakon "Actrice"® mit Umverpackung, EdP; Cosmeurop Parfums®, Stolberg/ Rhld./ Deutschland, nach 2005

Handsignierter Parfüm-Flakon “Actrice”® mit Umverpackung, EdP; Cosmeurop Parfums®, Stolberg/ Rhld./ Deutschland, nach 2005

Weihnachtsgabe von Frau Veronica Ferres 2015

„Die Schauspieler sind der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters.“, behauptete einst Englands Theaterdichter William Shakespeare (*1564-†1616). Damit mag er nicht unrichtig gelegen haben, zumal das Elisabethanische Theater –benannt nach Königin Elisabeth I. von England (*1533-†1603) – nicht nur ein Sittengemälde darbot, sondern dieses auch in seinen organisatorischen Strukturen lebte. Als Begegnungsstätte aller gesellschaftlichen Schichten, wurde von der Obrigkeit überwacht, wer und was auf jene Bretter kam, die die Welt bedeuteten. Das Schauspiel, welches durchaus als Kunstform angesehen war, erweckte in den Augen der Kirche Argwohn, da es zu Falschheit und Unzucht verführte. Infolgedessen war es Personen weiblichen Geschlechts strengstens verboten auf der Bühne ihr schauspielerisches Können unter Beweis zu stellen. Für die Darstellung von Frauenrollen dienten den Theatertruppen üblicherweise junge Knaben, bis zu deren einsetzendem Stimmbruch. Schon am Namen der Schauspieltruppe ließ sich ableiten, dass diese sich aus männlichen Akteuren zusammensetzte, wie am Beispiel der damals sehr erfolgreich in London agierenden Lord Chamberlain’s Men.

Sicher war es nicht jedem vergönnt mit beträchtlichem Talent und einer außerordentlichen Kunstfertigkeit gesegnet zu sein, um sich neben der eigentlich darstellenden Charakterrolle zusätzlich in die Wesensart des anderen Geschlechtes einzufinden. Erfolgversprechend für jede Rolle blieb jedoch eine für unser heutiges Verständnis übersteigerte Gestikulation, in Übereinstimmung eines angemessenen, aber ausdrucksstarken Tonfalls der geforderten Stimmlage. Dies war evident den Wurzeln des griechisch-antiken Theaterspieles. Erst mit dem Zeitalter der Aufklärung drängte im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend eine gewisse Natürlichkeit in den Vordergrund der Interpretationen.

Natürlichkeit und Nähe wünschen wir uns von unseren heutigen Film- und Fernsehstars gleichfalls, die – frei nach Shakespeare – den Zeitgeist vertreten. Die international geschätzte, deutschstämmige Schauspielerin Veronica Ferres (*1965), setzte mit Ihrem Parfum „Actrice“ ® eine Hommage an den komplex-vielschichtigen Beruf des Schauspielers. Der Duft verkörpert bewusst dem Namen nach (franz. Actrice; dt. Schauspielerin) das Rollenbild des weiblichen Akteurs. Im Gegensatz der Vielzahl anderer prominenter Persönlichkeiten unterstreicht Veronica Ferres mit der Lancierung dieses einen Parfumproduktes im Jahr 2005, ihren persönlichen Willen zur Einzigartigkeit. Zusammen mit dem bestechend schlichten, augenfällig elegantem Design des Flakons, mag das Parfum nicht nur für Frau Ferres eine Quelle der Inspiration von Natürlichkeit sein.

Präsentation: Glas-Café, Kleintettau; 02.12.2015 bis 10.01.2016; HINWEIS: Die Umverpackung wird im Rahmen der Präsentation nicht gezeigt!

Künftiger Standort: Dauerausstellung – Standort wird noch ermittelt

Wissenswertes: Wir möchten an dieser Stelle Frau Veronica Ferres unseren aufrichtigsten Dank für den handsignierten Flakon mit Umverpackung, sowie einem ebenfalls handsignierten Porträtfoto übermitteln, welche sie uns freundlicherweise für unseren Sammlungsbestand überreichte. Wir wünschen Frau Ferres weiterhin die Inspiration und Kreativität, mit der sie uns und unsere Museumsbesucher erfreut und hoffen, sie bleibt dem Europäischen Flakonglasmuseum weiterhin verbunden.

 

November 2015 – Von gewonnenen Freiheiten und verspielten Affigkeiten

Mit Schuco®-Äffchen und Co. durch die Goldenen Zwanziger

Parfumäffchen mit Glasflakon; Spielwarenfabrik Schuco®, Nürnberg/ Deutschland, um 1930

Parfumäffchen mit Glasflakon; Spielwarenfabrik Schuco®, Nürnberg/ Deutschland, um 1930

Ankauf 2012

Ob nun knallige Farben, schrille Töne oder epochemachende Düfte: die wilden Zwanziger, sie waren ein Tanz auf dem Vulkan… . Nach den Schrecken des 1. Weltkrieges und seinen Entbehrungen atmeten die europäischen Großstadtmetropolen auf. In Städten wie Paris und Berlin blühte eine Subkultur auf, die in Künstlervierteln, Nachtclubs und Theatern von sich reden machte. Nach dem wilhelminischen Zeitalter kamen, frei von Prüderie und hierarchisierten gesellschaftlichen Normen, auch sexuelle Themen zur Sprache. Gerade Frauen erleichterte die Anonymität der Großstadt – autonom von traditionellen Rollenzuweisungen – neue Lebensformen zu entwickeln. Im Tausch der Geschlechter übten sie einen Beruf aus, fuhren Motorrad, rauchten in der Öffentlichkeit und legten auch modisch das feminine Sinnbild der Korsage ab. So manch konservativ Eingestelltem sollte das Schlagwort der “neuen Frau” zum Schimpfwort gereichen.

Gleich der Kunstströmung der Neuen Sachlichkeit, verstand sich die Mode schlicht und dem neuen Idealen angepasst. Ob kniekurze Kostüme, gerade geschnittene Hemdenblusenkleider oder sportliche Pullover, für jede Aktivität fand sich das annehmbare Outfit. Das Augenmerk für den Abend lag vor allem in der richtigen Wahl der unverzichtbaren Accessoires. Schockierende Wirkungen erzielten lange Halsketten, Boas, Stirnbänder und die sogenannte Bubikopffrisur. Geradezu unentbehrlich waren Handtaschen und natürlich das darin mitgeführte Parfum, dessen Bedeutung die Couturiers als Bestandteil ihrer Modeschöpfungen entdeckten.

Je ausgefallener das Design des Flakons ausfiel, desto extravaganter erschien dessen Besitzerin. Dies wusste der Nürnberger Unternehmer Heinrich Müller (*1886-†1958) für seine noch junge Spielwarenfabrik Schuco® zu nutzen. So reichte er am 07. Juli 1927 ein Patent auf Miniatur-Plüschtierchen mit beweglichen Gliedmaßen ein. Die plüschigen Gesellen, darunter auch kleine Äffchen, bezeichnete er als „Kosmetikkoffer in Form einer hohlen Spielzeugfigur mit der Möglichkeit, sie zu öffnen; in dieser Form einzigartig, vielseitig zu verwenden und praktisch handzuhaben und zu nutzen.“. Der Clou steckte jedoch im Detail. Gläserne Röhren-Flakons mit eingeschliffenem Stopfen oder Korkverschluss verwahrten edlen Duft, verborgen im Inneren der Affentierchen. Einer Dame, der das zu affig erschien, konnte sich mit der farbenfrohen Teddybärchenvariante trösten. Immerhin war diese in einer großen Auswahl modischer Farben erhältlich, die von klassischem Schwarz und Weiß, zu natürlichen Braun- und Ockertönen bis hin zu auffälligeren Rot-, Grün-, Violett- und Rosavarianten reichten.

Präsentation: Glas-Café, Kleintettau; 02.11. bis 30.11.2015

Künftiger Standort: Aufnahme in die Dauerausstellung – „Parfümflakons – Eine Zeitreise durch das 20. Jahrhundert“, Sammlung Beatrice Frankl

Wissenswertes: Unser abgebildetes Parfumäffchen erhielt seinen Namen im Jahr 2014 durch ein Preisausschreiben. Der damals zehnjährige Gewinner taufte das flauschige Kerlchen „Mr. Banana“.

Empfehlenswert: Sonderausstellung „Tanz auf dem Vulkan – Das Berlin der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste“, Stiftung Stadtmuseum Berlin im Ephraim-Palais, 04.09.2015 – 31.01.2016 www.stadtmuseum.de/ausstellungen/tanz-auf-dem-vulkan