Monatsarchive: Juli 2018

Juli 2018 – Von rekord- und luxusverdächtigen Höhenflügen

Oder wie der Eiffelturm vom Etikett verschwand

Haarwasser-Flakon „Paris am Abend“®, 100ml; Thania Kosmetik®, Ostberlin/ Deutsche Demokratische Republik, zwischen 1951 bis 1972

Sammlung Monika Jürgens-Winefeld/ Schenkung 2016

„Enfoncé l’Europe!“ – Europa kann einpacken… das war die Reaktion eines erstaunten Franzosen während der Eröffnungsfeierlichkeit für den Pariser Eiffelturm am 31. März 1889, „…nachdem er fünf Minuten lang mit offenem Munde vor dem Turm gestanden hatte“. So berichtet es zumindest die damalige Presse und teilte uneingeschränkt die Begeisterung der Bevölkerung, die zuvor alles andere als euphorisch den Konstruktionsplänen des französischen Ingenieurs Alexandre Gustav Eiffel (*1832-†1923) gegenüberstand. Es bedarf keiner großen Erklärungen, warum das nach seinem Schöpfer benannte Bauwerk zum Nationaldenkmal erkoren wurde. Alleine seine damalige Rekordhöhe von 312 Metern erregte so viel Staunen, dass in- wie ausländische Ehrenbezeugungen für das „Wunderwerk der ingenieurtechnischen Fähigkeiten“ unvermeidlich blieben. Auch heute noch – weit über 100 Jahre später – hat „la Dame de Fer“ (dt. die Eiserne Dame), wie die Franzosen liebevoll ihren Turm nennen, nichts an Charme und Popularität verloren. Ob nun im Sonnenlicht des Tages oder mit 20.000 Lampen bei Nacht – er gehört gleich den Champs-Élysées oder dem Croissant zum Sinnbild für „le savoir-vivre“ der französischen Lebensart.

Nationalstolz war es dann vermutlich auch, der den französischen Kosmetikhersteller Bourjois® im Jahr 1928 eine Hommage an Paris und sein Wahrzeichen komponieren ließ. Dem Damen-Parfüm „Soir de Paris“® (dt. Pariser Abend) – dessen Etikett im Übrigen eine grafische Darstellung des Eiffelturmes zierte – flogen in Windeseile nicht nur die Herzen der Französinnen zu. Warum aber in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? – Dies hätte durchaus ein treffender Werbeslogan der Berliner Firma Thania-Kosmetik® für deren Damen-Parfüm „Paris bei Nacht“® sein können. Wann und unter welchen Umständen jedoch die Markteroberung dieser Kreation ihren Anfang nahm bleibt ebenso geheimnisvoll wie der Werdegang des Unternehmens selbst. So soll bereits vor 1945 die Parfümerie Thania® der Familie Stark als Hersteller von Flüssigseifen und Parfüms existiert haben. Spätestens mit dem Ortswechsel in die Pistoriusstr. 102, lag um 1966 die kleine Fabrik für Parfüm, Eau de Cologne und Lavendel- und Haarwässer im Ost-Berlin der noch jungen Deutschen Demokratischen Republik.

Auffallend für die Serie „Paris bei Nacht“® ist sicher nicht nur die Namensgebung, die wohl später lediglich als Kürzel „Paris“® auf den Etiketten endete. Auch das Flakon-Design wechselte je nach staatlicher Zuteilung. Für den vorliegenden Schütt-Flakon kam ein gängiges Modell des thüringischen VEB Glaswerke Piesau® zum Einsatz. Die Welligkeit der Mittelflächen, die Vielzahl eingeschlossener Luftblasen, selbst die unruhige Oberfläche des Klarglases mit dem unebenen Stand verraten mehr als eine halbautomatische Fertigung. Vielmehr veranschaulichen diese Mängel die staatliche Rationierung gegenüber Privatunternehmen durch eine mindere Zulieferqualität. Davon abgesehen wusste Thania-Kosmetik® durchaus mit einfallsreichem Pragmatismus zu vermitteln, was sein Haarwasser „Paris bei Nacht“® wirklich wert war. Da haben wir einerseits das weitere Design-Konzept, angefangen bei dem formharmonisch eingepassten Papieretikett mit geschmackvoller Eiffelturm-Grafik in Blau-Gold, bis hin zur thematisch stilsicheren Strahlenrosette auf dem goldfarbenen Kunststofftop. Andererseits weist der rückseitig auf dem Etikett vermerkte hohe Verbraucherpreis von 4,- (Deutsche Mark?) das Haarwasser regelrecht als Luxusartikel aus. Doch all dies sollte mit der Enteignungswelle im Jahr 1972 ein jähes Ende finden. Vielleicht wurde die Fabrikation von Thania-Kosmetik® einem Berliner Kombinat unterstellt?… Möglich… plausibler erscheint dagegen die Vermutung, dass die Produktion gänzlich dem Vergessen anheimgestellt wurde. In solch radikaler Auffassung sympathisierte der Ministerrat der DDR – wenn auch unbewusst – mit dem französischen Schriftsteller Honoré de Balzac (*1799-†1850): „Provinz bleibt Provinz, sie macht sich lächerlich, wenn sie Paris nachäffen möchte.“

Präsentation: Glas-Café, Kleintettau; 28.06. bis 31.07.2018

Künftiger Standort: Sammlungsdepot

Ausblick: Integration in die neue Dauerausstellung zur Parfümerie- und Kosmetikkultur der DDR, im Jahr 2019.

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